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Alles klimaneutral, oder was? Über CO2-Kompensation und die Grenzen zum Greenwashing

Nachhaltige Wirtschaftspolitik Energie Interview

UnternehmensGrün-Vorständin Dr. Odette Deuber: Immer mehr Unternehmen erfassen ihren CO2-Fußabdruck, wirtschaften bereits klimaneutral oder streben Klimaneutralität bis 2025, 2030 oder 2050 an. Doch was heißt eigentlich „klimaneutral“ bei einem Unternehmen? Welche Methoden gibt es und wann müssen wir von Greenwashing ausgehen? Darüber sprechen wir mit Dr. Odette Deuber, Gründerin der DO Climate GmbH und Vorständin von UnternehmensGrün.

UnternehmensGrün: In der Presse lesen wir beispielsweise „Bosch wird 2020 klimaneutral“. Das klingt erstmal super. Aber: Was heißt das eigentlich, klimaneutrales Unternehmen?

Dr. Odette Deuber: Jedes Unternehmen verursacht Treibhausgas (THG)-Emissionen, ganz gleich, wie nachhaltig und sparsam es wirtschaftet. Bei den Emissionen unterscheidet man zwischen Scope 1 – 3, also den direkten Emissionen des Unternehmens, den indirekten Emissionen aus bezogener Energie sowie den anderen indirekten Emissionen. Zur Klimaneutralstellung sind folgende Schritte notwendig:

  • Bilanzieren: Alle relevanten Emissionen werden in einer Bilanz erfasst.
  • Reduzieren: Alle vermeidbaren Emissionen werden konsequent reduziert.
  • Kompensieren: Ausgleichen der nicht-vermeidbaren Emissionen durch den Zukauf von Gutschriften (Zertifikate), die nachweislich zusätzliche THG-Emissionsminderungen in einem Klimaschutzprojekt sicherstellen.

Je nach Bemessungsgrundlage sprechen wir dann davon, dass eine Verwaltung, ein Standort oder ein Unternehmen „klimaneutral“ sind. (siehe unten >> Good to know)

UnternehmensGrün: Wie kann man erkennen, welches Unternehmen es wirklich ernst meint?

Dr. Odette Deuber: Wer es ernst mit der Klimaneutralität meint, setzt sich unternehmerische Klimaziele im Einklang mit dem Pariser Klimaschutzabkommen und legt einen klar definierten ambitionierten Reduktionspfad fest. Dabei müssen auch die Scope 3 Emissionen (siehe unten) berücksichtigt werden. Einige große Unternehmen verpflichten sich in der Science Based Targets Initiative zu diesem Vorgehen. Auch mittelständische Pionierunternehmen verfolgen bereits diese Art der Klimaneutralität. Ziel ist die Klimaneutralität aus eigener Kraft, das heißt ohne Kompensationszahlungen. Von entscheidender Bedeutung ist, wie Klimaschutz in der Unternehmensführung verankert ist und gelebt wird. Ist der Klimaschutz ein Teil der Unternehmensstrategie oder nur eine zusätzliche Verpflichtung unter vielen? Wird Klimaschutz als Chance für Innovation und Veränderung gesehen? An folgenden Punkten erkennt man Unternehmen, die es ernst meinen:

  • Treibhausgas-Bilanz des Unternehmens ist konform mit dem internationalen Standard Greenhouse Gas Protocol und/oder der ISO Norm 14064-1
  • Klimaschutzprojekte mit einem hochwertigen Standard; Label von glaubwürdigen Kompensationsdienstleistern (siehe Tabelle) bzw. Zertifzierungsunternehmen
  • Einbeziehung von Scope 3 Emissionen
  • Science Based Targets Initiative
  • Konsistente Unternehmenspolitik: Investitionen in erneuerbare Energien, Energieeffizienz, Bewusstseinsbildung, klimafreundliche Mobilität und politisches Einfordern von nachhaltigen Rahmenbedingungen

UnternehmensGrün: Wie stark muss ich im Unternehmen erstmal an die CO2-Reduzierung ran, eh ich mit der Kompensation anfange?

Dr. Odette Deuber: Die Formulierung „nicht vermeidbar“ lässt leider ganz schön viel Interpretationsspielraum. Was als „nicht-vermeidbar“ gilt, hängt von der Ausgangssituation, den bereits umgesetzten Maßnahmen sowie dem kurz-, mittel und langfristig bestehenden Reduktionspotenzialen ab. Ich halte es für Greenwashing, wenn Unternehmen sich klimaneutral geben, indem sie die Emissionen CO2-intensiver Produkte extern kompensieren, aber nicht gleichzeitig ihre Geschäftspraktiken auf Lösungen für eine klimaneutrale Welt ausrichten – und dies auf allen Ebenen.

UnternehmensGrün: Wenn ich als Dienstleister kaum CO2-intensive Prozesse im Büro habe, was kann ich tun, um zum Beispiel „klimapositiv“ zu werden?

Dr. Odette Deuber:„Klimapositiv“ bedeutet, über die Klimaneutralität hinauszugehen und einen zusätzlich positiven Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Eine Möglichkeit ist, den CO2-Handabruck (CO2Handprint) zu vergrößern – und zwar über den CO2-Footprint hinaus. Das Konzept des Handprints geht auf ein indisches Mädchen zurück, dass die Menschen ermutigt hat, lokal gemeinsam ins Handeln für nachhaltige Lösungen zu kommen. Bei einem Dienstleistungsunternehmen kann das beispielsweise sein, neben dem ethisch-ökologischen Bankkonto auf nachhaltige Altersvorsorge zu setzen oder auf kreative Lösung für eine klimafreundliche Mobilität der Mitarbeitenden.

UnternehmensGrün: Aber durch den Zukauf von Zertifikaten sind die Emissionen ja nicht weg. Was ist denn bei der CO2-Kompensation zu beachten?

Dr. Odette Deuber: Auf dem Markt der Klimakompensation gibt es eine Vielzahl an Akteure. Als Faustregel gilt: Den Pionieren kannst Du trauen: Projektentwickler und Kompensationsanbieter der ersten Stunde (gegründet zwischen 1990 und 2010) meinen es wirklich ernst: Sie mussten trotz jahrelanger zäher globaler Klimaschutzpolitik Durchhaltevermögen beweisen und den Markt für Kompensationsprojekte aufbauen. Wichtig ist, dass zertifizierte Minderungsprojekte genutzt werden (siehe Übersicht für Zertifizierungsstandards, Tabelle unten). Dadurch wird gewährleistet, dass es sich um zusätzliche CO2-Minderungen handelt, die ohne das Kompensationsprojekt nicht zustande gekommen wären. Qualitätsmerkmal ist auch, wenn die Unternehmen nicht nur Zertifikate von bereits realisierten Projekten kaufen, sondern mit Projektentwicklern eigene Projekte initiieren und dafür langfristig finanzielle Verantwortung übernehmen.

UnternehmensGrün: Gibt es für die CO2-Kompensation entsprechende Standards? Wenn ich mich als Unternehmen für einen Anbieter von CO2-Kompensation entscheiden muss, wie wähle ich aus?

Dr. Odette Deuber: Das Umweltbundesamt bietet einen empfehlenswerten Ratgeber. Für die CO2-Kompensationprojekte gibt es verschiedene Standards, wie z.B. den Gold Standard, VCS oder Plan vivo (Tabelle unten). Merkmale anhand derer man die Anbieter und Projekte bewerten kann, sind z.B.:

  • Ökonomische Effizienz: Wie viel CO2-Reduktion und Mehrwert für die Nachhaltigkeit erhalte ich pro investierte Euros?
  • Transparenz & Verteilungsgerechtigkeit: welcher Anteil fließt ins Projekt, in die Zertifizierung, in den Vertrieb? Wie groß ist die Wertschöpfung vor Ort in Entwicklungs- und Schwellenländern?
  • Gesellschaftlicher Mehrwert: welchen Mehrwert für die nachhaltige Entwicklung vor Ort bietet das Projekt? Aufforstungsprojekte und Kochofenprojekte in ländlichen Regionen haben oftmals einen höheren Mehrwert für die nachhaltige Entwicklung als Projekte für erneuerbare Energien in Schwellenländern, dafür sind letztere pro eingespartem CO2 kostengünstiger.

UnternehmensGrün: Wenn wir das Pariser Klimaziel ernst nehmen, müssen wir uns in Deutschland an einen Dekarbonisierungspfad im Einklang mit dem 1,5 Grad Ziels halten. Mit diesem Wissen: Welches Zieljahr müsste ich für mein Unternehmen für die Klimaneutralität anpeilen? 2025, 2030, 2050?

Dr. Odette Deuber: Es geht für jedes Unternehmen darum, einen ambitionierten Reduktionspfad in die Klimaneutralität zu entwickeln und alles dran zu setzen diesen einzuhalten. Es liegt auf der Hand, dass für Unternehmen mit CO2-intensiven Produkten, wie z.B. der Stahl- oder Zementherstellung oder des Luftverkehrs 2040 als Zieljahr als die Klimaneutralität sehr ehrgeizig ist. Anders bei Unternehmen, die schon heute Produkte entwickeln, mit Hilfe derer CO2 eingespart wird, wie z.B. ein Hersteller erneuerbarer Energie, Speicher oder intelligente IT-Produkte. Hier ist die Klimaneutralität entlang der Wertschöpfungskette schon heute realistische Zielmarke. Zwei Beispiele: Die Bosch-Gruppe verfolgt als Industrieunternehmen wissenschaftsbasierte Ziele (Science-Based Targets): 2020 werden alle nicht-vermeidbaren Scope 1 und 2 Emissionen kompensiert (knapp 2 Mio. t CO2); für die Scope 3-Emissionen wird ein relatives Ziel von -15% bis 2030 gegenüber 2019 anvisiert, um bis 2050 klimaneutral zu werden. SAP SE strebt seine „Klimaneutralität“ 2025 an, diese beinhaltet dann Scope 1, 2 und ausgewählte Emissionen der Lieferkette (Scope 3), wie Geschäftsflüge, Pendeln und Rechenzentren. Das Unternehmen hat schon 2019 als siebtes Unternehmen weltweit und als erstes Unternehmen in Deutschland über einen von der Science Based Targets Initiative geprüften Zielpfad im Einklang mit dem 1,5 Grad Ziel verfügt (inkl. Berücksichtigung aller Scope 3-Emissionen). Jedes Unternehmen sollte das Ziel „Klimaneutralität“ mit einem hohen Stellenwert in die Unternehmensstrategie integrieren, damit wir die notwendigen exponentiellen Lernkurven durchschreiten. So setzen wir darauf, dass wir mit neuem Bewusstsein und Innovationen gesellschaftliche und technische Lösungen verwirklichen können, von denen wir heute noch nichts wissen. Liebe Odette, wir danken Dir dafür, dass Du dieses wichtige Thema für uns näher beleuchtet hast!  

Hintergrund: Scope 1: direkte THG-Emissionen, i.d.R. verursacht durch den Einsatz fossiler Brennstoffe zur Wärme-und Stromgewinnung, Verflüchtigungen aus Klima- und Kälteanlagen sowie dem unternehmenseigenen Fuhrpark. Scope 2:  Indirekte THG-Emissionen aus dem vom Unternehmen bezogenen Energieträgern, die bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe zur Wärme-, Dampf- oder Stromerzeugung bei einem Energiedienstleister anfallen. Scope 3: andere Indirekte THG-Emissionen, wie Anfahrt der Mitarbeitenden sowie Geschäftsreisen, aber insbesondere auch vorgelagert die beschafften Güter und Dienstleistungen sowie die Logistik und nachgelagert die Emissionen aus der Produktnutzung, Entsorgung und finanziellen Investitionen. Good-to-know: Was ich bei der THG-Bilanzierung in meinem Unternehmen beachten muss

  • Die Treibhausgas-Bilanz des Unternehmens sollte konform mit dem internationalen Standard Greenhouse Gas Protocol (https://ghgprotocol.org/corporate-standard )und/oder der ISO Norm 14064-1 erstellt sein. Hier bitte bei den Anbietern der Bilanzierungstool nachfragen.
  • Es muss klar definiert sein, welche organisatorischen und operationellen Systemgrenzen bei der Klimaneutralstellung Anwendung finden. Handelt es sich um den Standort, die Verwaltung oder das gesamte Unternehmen mit gegebenenfalls noch allen Tochterunternehmen und Auslandsstandorten.
  • Grundsätzlich gilt, dass alle relevanten Emissionen in der Bilanz einbezogen werden sollten. Während dies bei kleineren Verwaltungs- und Dienstleistungsunternehmen i.d.R. gleich im ersten Jahr erfolgt, ist bei produzierenden Unternehmen ein schrittweises Verfahren in der Praxis gängig: zunächst Verwaltung, anschließend Wertschöpfungskette (v.a. eingekaufte Waren & Dienstleistungen, Logistik, Nutzung der Produkte, etc).
  • Bei der Klimaneutralstellung müssen nach der ISO 14064-1 mindestens die Scope 1 und 2 Emissionen einbezogen sein. Es ist jedoch geboten alle verwaltungsbedingten Emissionen, wie z.B. die brennstoffbedingte Vorkette, die Anfahrt der Mitarbeitenden, die Geschäftsreisen, etc. in der Bemessungsgrundlage der Kompensation zu berücksichtigen (klimaneutrale Verwaltung), bzw. alle relevanten Emissionen der Wertschöpfungskette (klimaneutrales Unternehmen). An der gewählten Bemessungsgrundlage erkennt man, wie weitgehend die Klimaneutralität im Unternehmen verankert ist.

Best-Practice: