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Aufruf: International tätige Firmen müssen Partner in besonders gefährdeten Ländern im Kampf gegen das Coronavirus unterstützen

BIO-Branche Mitgliedsunternehmen Nachhaltige Wirtschaftspolitik
Alyssa Jade McDonald-Baertl, Vorstandsmitglied von UnternehmensGrün, hat gemeinsam mit dem VOICE-Netzwerk für Transparenz und Gerechtigkeit in der Kakaoindustrie einen Hilfeaufruf gestartet. McDonald-Baertl leitet selbst seit rund zehn Jahren ein Sozialunternehmen im Bereich Kakaopflanzenzucht und engagiert sich in der Ausbildung von Kakaobäuer_innen im Südpazifik. Sie hat sich mit den möglichen Auswirkungen des Coronavirus auf die weltweit über 4 Millionen Kleinbäuer_innen, die auf Flächen von drei Hektar oder weniger die wichtigsten Zutaten für Schokolade liefern, auseinandergesetzt. Ob kleine Sozialunternehmen wie BLYSS GmbH oder große Kakaomultis: Alle sollten daran arbeiten, die Wirkung von Sars-Cov-2 auf ihre Partner im Süden möglichst gering zu halten. Gemeinsam mit Antonie Fountain und Friedel Hütz-Adams vom VOICE-Netzwerk (NGOs und Gewerkschaften, die sich für Nachhaltigkeit in der Kakaoindustrie einsetzen) hat McDonald-Baertl einen Aufruf an die weltweit größten Schokoladen- und Kakaofirmen gestartet. Ziel ist es, gemeinsam zu sehen, wie die bestehende Infrastruktur, das Rückgrat des kommerziellen Kakaohandels, zur Unterstützung der Gesundheitsvorsorge in den Anbauländern beitragen kann. Dr. Gorgi Krlev vom Centrum für Soziale Investitionen und Innovationen (CSI) der Universität Heidelberg unterstützt diesen Aufruf:  „Wir brauchen jetzt mutiges Handeln, um den Bedürfnissen der Menschen gerecht zu werden, die am stärksten betroffen sein werden, wenn das Virus ihre Länder erreicht.“ Der Aufruf McDonald-Baertl, Fountain und Hütz-Adams stellen fest, dass kein Land in Afrika oder Südostasien ausreichend auf Covid-19 vorbereitet ist.1 Neben den allgemeinen Mängeln der Gesundheitssysteme besteht eine besondere Verwundbarkeit in ländlichen Regionen. Kakaobäuer_innen leiden bereits heute häufig unter Lungenproblemen. 4,5,6,7 Berichte aus Indonesien zeigen, dass 10 - 16 Prozent der Kakaobäuer_innen Husten, Schmerzen im Brustkorb oder Atemschwierigkeiten haben.2 UNICEF berichtet, dass Bäuer_innen in der Elfenbeinküste zurzeit neben Malaria vor allem unter Lungenentzündungen leiden. Fieber und Husten waren auch die häufigsten Symptome von Kakaobauern, die in Bougainville oder Papua New Guinea Ärzte aufsuchten. Der allgemeine Mangel an Ärzt_innen und Gesundheitsdiensten in den Anbauländern 8,9,10 könnte während einer Pandemie verheerende Folgen haben.11 Diese Situation gilt zum Beispiel auch für die Kaffee-, Baumwoll- und Naturkautschukindustrie. Zu den Handlungsmöglichkeiten gehören einfache, aber wirksame Maßnahmen, die von der Nutzung vorhandener und dem Aufbau neuer Infrastruktur bis hin zu einem aktiven Beitrag zur sozialen Absicherung der Bäuer_innen reichen. Der Aufruf wendet sich mit den folgenden vier Handlungsfeldern an alle Firmen in der Industrie: 1. Handlungsempfehlungen für die Situation auf den Kakaofarmen/ Anpassung von Prozessen Die Bäuer_innen sollten möglichst keine Besucher_innen empfangen und größere Versammlungen und Familienfeiern sollten abgesagt werden. Digitale Mittel zur Ausbildung und Beratung sollten genutzt werden. Familien sollten ermutigt werden, sich gemeinsam zu isolieren, natürlich im Kontext sozialer und kultureller Normen. 2. Kommunikationen mit Bäuer_innen Firmen können ihre Kommunikationsmöglichkeiten (SMS, Facebook-Updates, Verteilung von Flugblättern, Netzwerk für Kooperativen) verwenden, um wichtige Gesundheits- und Hygienebotschaften der Behörden zu unterstreichen, z.B. die Erkennung von Symptomen, Hygieneregeln, Isolation und Meldung von Covid-19-Verdachtsfällen. Bei der Abholung der Ware könnte eine geeignete Person (Gesundheitsfachkräfte) die Bäuer_innen und ihre Familien auf Symptome untersuchen und über Covid-19 aufklären. 3. Verteilung von Hygienebedarf Die Kakao-Handelsfirmen und international tätigen Schokoladenhersteller_innen können Seife, sauberes Wasser, Medikamente und andere wichtige Artikel in den Gegenden verteilen, wo Kakaobäuer_innen leben. Sie können außerdem Gebäude wie etwa Ausbildungsräume für Covid-19-Untersuchungen und Beratung zur Verfügung stellen. Außerdem können sie ihre Firmenflotte den Gesundheitsbehörden oder Hilfsorganisationen für logistische Zwecke anbieten oder als mobile Kliniken in den Gemeinden fungieren. 4. Nothilfefonds einrichten, um Ressourcen zu mobilisieren und Grundeinkommen zu sichern Die Kakaoindustrie muss einen Nothilfefonds einrichten, um während der Coronakrise gegen Gesundheitsprobleme unter Kakaobäuer_innen und ihren Familien vorzugehen. Gemeinsam könnten die international tätigen Firmen ein „Grundeinkommen während der Krise“ für die betroffenen Familien realisieren. So könnten die Bäuer_innen zu Hause bleiben, auf die Gesundheit ihrer Familie und die Kinderbetreuung achten und Verbesserungen an ihren Plantagen vornehmen (Instandhaltung der Betriebe). Für drei Monate lägen die Kosten pro Familie zum Beispiel bei US$ 45413 in der Elfenbeinküste oder US$ 32914 in Ghana. Antonie Fountain, Managing Director des VOICE-Netzwerkes, zur Verantwortung der Unternehmen: "Während dieser immensen weltweiten Krise ist es von überragender Bedeutung, dass die größte Last nicht von Kleinbäuerinnen und -bauern getragen wird, die ohnehin schon sehr anfällig für Krisen sind. Der gesamte Sektor muss Verantwortung übernehmen und über „business as usual“ hinaus Hilfe anbieten, um kakaoproduzierenden Gemeinden zu helfen.“ Die oben skizzierten Handlungsfelder gelten natürlich auch für die Industrien, die auf Rohstoffen beruhen, die oft von gefährdeten Bauerninitiativen gehandelt werden: Baumwolle, Tee, Kaffee, Naturkautschuk, Obst und Nüsse. Chance für Veränderung im System Dr. Gorgi Krlev glaubt, dass die Coronakrise eine Chance bietet, dauerhafte Veränderungen im System zu erreichen: „Dieses Virus hat klargemacht - vielleicht zum allerersten Mal - wie sehr unsere Systeme miteinander verbunden sind. Und dass diese Systeme nicht so robust sind, wie wir es uns wünschen würden. Covid-19 zeigt uns aber nicht nur, wie verletzlich wir sind. Wir entdecken gerade wie viel mehr wir erreichen können, wenn wir zusammenarbeiten. Mehr Firmen müssen Aktionspläne entwickeln, und Regierungen sollten sie nicht nur passiv unterstützen, sondern aktiv ermutigen. Im Kontext systemischer Veränderungen geht es für Unternehmen nicht nur um einen einmaligen Kostenfaktor, sondern um eine Investition in den Aufbau von widerstandsfähigen sozialen und technischen Infrastrukturen für die Zukunft. Firmen, NGOs und Regierungen werden auf mehreren Ebenen mittel- und langfristig davon profitieren, wenn sie jetzt handeln.“ Mit den vorgeschlagenen Maßnahmen wären folgende positive Effekte zu erwarten:
  • Die Verbesserung von Kommunikationskanälen zu Mitarbeitenden. Diese Kanäle können über Prävention und Behandlung informieren. Mitarbeitende wüssten besser Bescheid, was sie bei Gesundheitsbeschwerden tun sollten - sowohl im Allgemeinen als auch in zukünftigen Krisen.
  • Der Aufbau eines Informationsnetzwerkes zur Sammlung von umfassenderen zuverlässigen Daten zur Gesundheit, mit denen z.B. die WHO ihr Handeln besser steuern könnte. Unternehmen können außerdem verantwortungsvolles und verantwortungsloses Handeln unter ihren Partnern feststellen.
  • Verbesserte sektorenübergreifende Partnerschaften zwischen Firmen, Behörden und Mitarbeitenden. Solche Multi-Stakeholder-Initiativen haben gezeigt, dass sie soziale Innovationen vorantreiben können.
  • Vorzeigebeispiele für Investitionen in Gesundheitsinfrastruktur vom Norden in den Süden. Solche Investitionen könnten nicht nur der lokalen Bevölkerung helfen, sondern auch die Robustheit von Lieferketten in Krisenzeiten erhöhen.
  • Der Aufbau eines Frühwarnsystems für zukünftige Epidemien. Ein solches System sollte helfen, Krankheitsausbrüche frühzeitig zu identifizieren, damit ihre Verbreitung räumlich eingegrenzt werden kann.
Wir brauchen mehr denn je strategisches Handeln, dass nicht nur auf die eigene Organisation ausgerichtet ist, sondern Kooperationen in den Vordergrund stellt. Verantwortungsvolle Unternehmen müssen sich fragen, wie sie ihre Lieferanten im Süden - von denen ihr Erfolg letztendlich abhängt - unterstützen können, und nicht nur auf die eigenen Kund_innen schauen. Über die Autor_innen: Dr. Gorgi Krlev hat am Kellogg College der University of Oxford promoviert. Er forscht im Centrum für Soziale Investitionen und Innovationen (CSI) der Universität Heidelberg im Bereich sozialer Finanzierung, Entrepreneurship und Innovation. Sein Buch “Social Innovation - Comparative Perspectives” gewann im Jahr 2019 den Buchpreis der Public and Nonprofit Division der Academy of Management (AOM). Das Buch kann als Open Access heruntergeladen werden: www.taylorfrancis.com/books/e/9781315158020, Twitter: @gorgikrlev Linked In: www.linkedin.com/in/gorgikrlev/ Antonie Fountain ist Geschäftsführer des VOICE Networks und Co-Autor des Cocoa Barometers. Er ist einer der führenden Sprecher der Zivilgesellschaft für Kakao und setzt sich seit mehr als einem Jahrzehnt für eine nachhaltige Kakaoindustrie ein. Das VOICE Network ist ein Zusammenschluss von NGOs und Gewerkschaften, das als Katalysator für einen modernen Kakaosektor fungiert. Seine Mitglieder sind:  ABVV/FGTB-HorvalBe Slavery Free (zuvor Stop The Traffik)EFFAT (Beobachter), FERNFNVGreen AmericaInkota NetzwerkInternational Labor Rights ForumMighty EarthOxfam AmericaOxfam WereldwinkelsPublic Eye (Beobachter), RikoltoSolidaridad, und Südwind Institut. Twitter: twitter.com/antonie  Linked In: www.linkedin.com/in/antonie/ Friedel Hütz-Adams ist seit 1993 wissenschaftlicher Mitarbeiter des SÜDWIND e.V., Institut für Ökonomie und Ökumene. Er hat Studien über Menschenrechtsverletzungen beim Abbau von mineralischen Rohstoffen sowie beim Anbau und der Weiterverarbeitung von agrarischen Rohstoffen verfasst, wobei der Schwerpunkt in den vergangenen  10 Jahren bei der Beschäftigung mit dem Kakaosektor lag. Friedel Hütz-Adams ist aktiv im VOICE-Netzwerk, einem Zusammenschluss von NROs und Gewerkschaften, die sich mit dem Kakaosektor beschäftigen. Er arbeitet in mehreren Gremien mit, darunter dem Nachhaltigkeitsbeirat der REWE-Group. Contact: www.suedwind-institut.de Linked In: www.linkedin.com/in/friedel-huetz-adams-47a408102/ Alyssa Jade McDonald-Baertl, Vorstandsmitglied von UnternehmensGrün, stammt aus dem Südpazifik - schon in dritter Generation aus einer Farmerfamilie. Sie ist Gründerin von BLYSS GmbH, einem Sozialunternehmen im Bereich Kakaopflanzenzucht und Ausbildung für Kakaobäuerinnen  und -bauern. Sie berät Firmen und Parlamentarier in Europa zu nachhaltigen Wirtschaftsfragen. Sie entwirft Strategien für Investitionsprogramme der Europäischen Kommission und unterstützt multinationale Konzerne und mittelständische Unternehmen bei der Umsetzung von ökologisch-ethischen Geschäftsmodellen. Aktuell forscht sie an der University of Sydney in Umweltwissenschaften. Twitter: @lyssland   Linked In: www.linkedin.com/in/blyss/ Quellen:
  1. Kandel N, Chungong S, Omaar A, Xing J. Health security capacities in the context of COVID-19 outbreak: an analysis of International Health Regulations annual report data from 182 countries. The Lancet. 2020.
  2. Arsyad DS, Nasir S, Arundhana AI, Phan-Thien K-Y, Toribio J-A, McMahon P, et al. A one health exploration of the reasons for low cocoa productivity in West Sulawesi. One Health. 2019;8.
  3. Walton M, Guest, D., Vinning, G., Hill-Cawthorne, G., Black, K., Betitis, T., Totavun, C., Butubu, J., Hall, J., Saul-Maora, J. Case study 1: Improving the livelihood of farmers in Bougainville. In: Walton M, editor. One Planet, One Health. Sydney: Sydney University Press. ; 2019. p. 127-41.
  4. Verina Ingram YW, Lan Ge, Simone van Vugt, Lucia Wegner, Linda Puister-Jansen,, Tanoh FRaR. Impact of UTZ Certification of cocoa in Ivory Coast. 2014.
  5. Yap SMS, Demayo CG. Farmers' knowledge and understanding of pesticide use and field spraying practices: a case study of rice farmers in the municipality of Molave, Zamboanga del Sur, Philippines.(Case study). Advances in Environmental Biology. 2015;9(27):134.
  6. Apeh CC. Farmers' Perception of the Health Effects of Agrochemicals in Southeast Nigeria. J Health Pollut. 2018;8(19):180901.
  7. Bell JD, Taylor MF, Amos M, Andrew NL. Climate change and Pacific Island food systems the future of food, farming and fishing in the Pacific Islands under a changing climate. 2016.
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  10. Foundjem-Tita D, Degrande A, Donovan J, Stoian D, Kouamé C. Baseline for assessing the impact of fairtrade certification on cocoa farmers and cooperatives in Côte d’Ivoire. 2017.
  11. Wang J, Xu C, Wong YK, He Y, Adegnika AA, Kremsner PG, et al. Preparedness is essential for malaria-endemic regions during the COVID-19 pandemic. The Lancet. 2020.
  12. Hanna R, Olken BA. Universal basic incomes versus targeted transfers: Anti-poverty programs in developing countries. Journal of Economic Perspectives. 2018;32(4):201-26.
  13. Dr. Diarra Ibrahim YGNG, Abdoulaye Kouma, Andjou Chantal Eluh, Tidiane Kamagaté, Diarra Lacina and Aka Aka Bekroudjobehon. Living Income Report - Rural Côte d’Ivoire Cocoa growing areas Ivorian Center for Socio Economic Research (CIRES)   2018.
  14. Sally Smith DS. Living Income Report - Rural Ghana. Cocoa growing areas of Ashanti, Central, Eastern, and Western Regions. GIZ, Sustainable Food Lab, ISEAL; 2018.