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"Kein Unternehmen ist eine Insel" - Die Gemeinwohl-Ökonomie macht Furore

Nachhaltige Wirtschaftspolitik
[vc_row][vc_column][vc_column_text css_animation_speed="faster" css_animation_delay="0"]In Österreich, Deutschland, der Schweiz, Italien und Spanien arbeiten schon 300 Unternehmen mit der entsprechenden Bilanz. Weitere Unternehmen benutzen Fragmente, um sich bei der Unternehmenssteuerung und -entwicklung Anregungen zu holen. Was steckt hinter diesem Konzept? Interview: Katharina Reuter UnternehmensGrün: Was verbirgt sich hinter dem Begriff Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ)? Gerd Hofielen: Die GWÖ ist einer der Ansätze, der Unternehmen hilft, ihr Verhalten und ihre Arbeitsweise in gesellschaftliche Zusammenhänge einzupassen. Kein Mensch ist eine Insel. Das gilt auch für Unternehmen. Es gibt mannigfaltige Wechselwirkungen mit Mitarbeitern, Lieferanten, Kunden und der Gesellschaft. Diese Wechselwirkungen werden von großen Konzernen häufig sehr einseitig und machtorientiert zu eigenen Gunsten gestaltet. Daher kommt es häufig zu Schieflagen. Wir bemerken diese als erstes in den Ökosystemen. Das ist übrigens auch Gründungsimpuls und Verpflichtung von UnternehmensGrün - wir wollen solche Schieflagen korrigieren. Die GWÖ ist eine Organisation, die diese Wechselwirkungen ansteuert. In der konventionellen Wirtschaftsweise werden Werte, die für menschliches Zusammenleben wichtig sind, häufig kaum beachtet. Die GWÖ ist ein Angebot für Unternehmer*innen, die werteorientiertes Wirtschaften wichtig finden.

Ist die GWÖ ein ganzes neues volkwirtschaftliches Modell oder nur eine neue Art der Unternehmensführung?

Als Unternehmer muss ich mich fragen, welches Spiel wird gespielt, welches Spiel spiele ich mit und welche Regeln sollen dabei gelten? Auch hier ist die Frage, spiele ich das konventionelle Unternehmer-Spiel mit, in dem es hauptsächlich um Gewinn geht, um Kostenkontrolle, um ökonomische Effizienz. Oder spiele ich ein Spiel, in dem Sinn spürbar wird, in dem Spaß aufblitzt und in dem vor allem das Thema der Werteorientierung seinen Platz findet. Indem ich Mitarbeiter respektiere, mit Lieferanten kooperiere und Naturlimits beachte, baue ich an einer lebensdienlichen Wirtschaft mit. Wenn wir Unternehmen stärker in Richtung einer werteorientierten Wirtschaftsweise ausrichten, hat das Konsequenzen für die Wirtschaft und volkswirtschaftliche Zusammenhänge. Natürlich brauchen wir dann auch andere Rahmenbedingungen. Bestimmte Steuervorteile wären für GWÖ-Unternehmen denkbar, beispielsweise eine ermäßigte Umsatzsteuer.

Es ist vielen klar, dass das Bruttosozialprodukt nicht den Wohlstand einer Volkswirtschaft abbildet. Im Gegenteil. Wenn man nur auf BSP-Zahlen schielt, setzt man sich auch Ziele, die zu Unwohlsein führen. Eine Idee der GWÖ setzt hier an: auf kommunaler Ebene könnten sogenannte Wirtschaftskonvente durchgeführt werden. Bei diesen kann diskutiert werden, was die Wohlstandsindikatoren sind, die in der jeweiligen Gemeinde gelten sollen.

Wie durchlässig sind die einzelnen Kriterien der GWÖ-Matrix für neue Anregungen?

Die GWÖ versteht sich als Angebot an Unternehmen, sich einen Spiegel vorzuhalten. Die GWÖ-Matrix, dieses Bilanzierungstool, besteht aus 17 Indikatoren. Innerhalb jedes Indikators sind bestimmte „Best Practices“ hinterlegt. Es gibt für ein Unternehmen auf diese Weise immer die Möglichkeit, sich mit anderen zu vergleichen. Die GWÖ-Matrix ist normorientiert und nicht beliebig. Die Normen sind abgeleitet von Wertvorstellungen, die in der Nachhaltigkeitsdiskussion entwickelt wurden. Insofern ist die Matrix der GWÖ eine gute Methode, um die eigene unternehmerische Praxis damit zu vergleichen.

Die GWÖ respektiert jede Firma. Jede hat eine eigene Kultur, ist sozusagen ein Biotop. Die Frage ist, fühlen sich Mitarbeiter und Kunden in diesem Biotop wohl? Nach dieser Betrachtung stellt die GWÖ-Matrix im Vergleich mit den Best Practices fest, wie viele Punkte das individuelle Biotop erzielt. Es geht darum, sich selber zu überprüfen und zu fragen, welche Werte möchten wir in unserem Unternehmen leben.

Wir haben den Eindruck, dass die GWÖ mit einer zu absoluten Schablone arbeitet. Können in der GWÖ-Bilanz Verschiedenheiten berücksichtigt werden?

Die GWÖ-Matrix ist keine Schablone. Es besteht die Gefahr, dass sie als Katechismus verstanden wird, nach dem jeder, der nicht alle Punkte erreicht, ein/e schlechte/r Unternehmer/in ist. Das ist nicht beabsichtigt. Wir gehen davon aus, dass jede werteorientierte Leistung gut ist. Die GWÖ-Matrix anzuwenden ist eine Selbstüberprüfung, damit ein Unternehmen gesund wirtschaftet. Dadurch bleibt die Aufmerksamkeit darauf gerichtet, welche Qualität die eigene Unternehmensführung hat und zu welcher Art von Wirtschaft und Gesellschaft sie beiträgt. Es geht gerade nicht darum, eine Gleichschaltung auf ‚grün‘ zu erzeugen, sondern eine Unternehmensführung, der die Beziehungen zu den Partnern in der Wertschöpfungskette wichtig ist. Die sich dafür einsetzt, dass nicht Macht benutzt wird, um Lieferanten zur Kooperation zu bewegen, sondern dies auf der Basis von als fair empfunden Austauschbeziehungen vollzieht, auch Mitarbeitern und Kunden gegenüber.

Wenn dieser Geist in Unternehmen die Oberhand gewinnt, wovon wir noch ein Stück weit entfernt sind, dann befinden wir uns in einer Gesellschaft, die wesentlich humaner ist als die gegenwärtige.

Wie grenzt sich die GWÖ zu bereits existierenden Management-Systemen wie EMAS und ISO 14001 ab?

Bei den üblichen Managementsystemen gibt es welche, die Inhalte vorwärtsbewegen und welche, die Defensiv-Bewegungen erlauben. ISO 14001 ist ein System, hinter dem sich jede Firma verstecken kann. Es fragt lediglich ab, was die eigenen Postulate und Prozesse sind, ohne dass es wirklich um Fortschritte für die Umwelt geht. EMAS ist ein System, das den Anspruch hat, die Umweltleistung einer Unternehmung permanent zu verbessern. Die Ergebnisse von EMAS können gut in die GWÖ-Matrix eingefügt werden.

Die GWÖ-Matrix hingegen ist ein Management-System, das den Umgang mit allen Stakeholder-Gruppen sichtbar macht. Damit wird sie für den Unternehmer zu einem Kontrollpult, mittels dem die Beziehungen zu Lieferanten, Kunden, Mitarbeitern etc. verbessert werden können. Gute Kooperationsbeziehungen unterstützen den unternehmerischen Erfolg.

Wie ist die Resonanz? Welche Unternehmen setzen die GWÖ bereits erfolgreich um?

Rund 300 Unternehmen im deutschsprachigen Raum, Italien und Spanien haben bisher eine GWÖ-Bilanz angefertigt und sich zertifizieren lassen. Weitere Unternehmen benutzen Fragmente der GWÖ-Matrix, um sich bei der Unternehmenssteuerung und -entwicklung Anregungen zu holen. Rund 1.600 Unternehmen haben sich als Unterstützer auf der Website der GWÖ registriert.

Die GWÖ hat zum Beispiel eine gute Verbreitung in der Biobranche, weil dort die Unternehmer bereits aus sich heraus die Entscheidung getroffen haben, ökologisch zu wirtschaften. In den Geschäftsideen steckt bereits Werteorientierung. Ansonsten gibt es viele kleine und mittlere Unternehmen. Die Branchen sind dabei relativ breit gestreut. Das UnternehmensGrün-Mitglied Oktoberdruck ist beispielsweise schon dabei. Im Prinzip findet die GWÖ überall dort ein Echo, wo sich Unternehmer gesellschaftlichen Anliegen gegenüber öffnen und werteorientiert handeln wollen. Bei den großen börsennotierten Konzernen ist dies noch nicht der Fall. Genauso wenig wie bei Firmen, die davon profitieren, dass Menschen, Kunden, Lieferanten oder die Natur übermäßig ausgebeutet werden.

Mit welchem Aufwand muss ein Unternehmen rechnen, wenn es sich für den Einstieg in eine GWÖ-Bilanz interessiert?

Für die Unternehmer ist es natürlich immer eine zusätzliche Aufgabe. Das muss auch gewürdigt werden. Daher macht die GWÖ es den Unternehmen so leicht wie möglich. Man kann  einen ersten Überblick gewinnen, indem man einen so genannten „Schnelltest“ anwendet. Er dient dazu, sich über das Spektrum der Indikatoren, die die GWÖ verwendet, zu informieren. Danach kann man eine Einstiegsbilanz machen. Es dauert etwa einen Tag, sich die Aktivitäten des eigenen Unternehmens zu vergegenwärtigen. Der Rest ist von der Unternehmensgröße abhängig. Wenn ein Unternehmen mit beispielsweise 50 Mitarbeitern eine GWÖ-Bilanz machen möchte, liegt der Aufwand in der Größenordnung von fünf Arbeitstagen. Empfehlenswert ist immer, mehrere Menschen je nach ihrer Expertise einzubinden und die Arbeit auf mehrere Köpfe zu verteilen. Dadurch wird der Gedanke der GWÖ sofort in mehrere Unternehmensbereiche getragen und die Entwicklungswirkung verstärkt.

Wie sieht es mit den Kosten für eine Bilanzierung aus?

Holt man sich Unterstützung von der GWÖ gelten Tagessätze von ca. 600 Euro. Die Bilanzierungsunterlagen der GWÖ sind per Internet-Download frei verfügbar und selbstständig anwendbar. Auf Basis einer Förderung durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt können wir derzeit auch vergünstigte Zertifizierungen für 625 Euro Gesamtkosten anbieten („Peer-Zertifizierungsvorgang“). Dafür schließen sich sechs Unternehmen zusammen und gehen gemeinsam durch den Zertifizierungsprozess.

In welchen Abständen soll die Bilanz überprüft werden?

Die Empfehlung der GWÖ lautet alle zwei Jahre und solange gilt auch das Zertifikat, das die GWÖ ausstellt. Wobei es selbstverständlich immer dann wiederholt werden kann, wenn ein neuer Impuls gesetzt werden soll.

Wo können sich interessierte Unternehmen hinwenden?

Die GWÖ hat eine eigene Website (s. Kasten). Ansonsten gibt es in vielen deutschen Städten GWÖ-Gruppen, zu denen interessierte Unternehmer gerne Kontakt aufnehmen können. Der beste Weg ist, zuerst über die zentrale Website zu gehen.

Vielen Dank für das Interview!

* Für UnternehmensGrün-Mitglieder bietet Gerd Hofielen an, mit seiner Unterstützung gratis eine erste Bilanzierung zu erstellen ("Schnelltest"). Interessenten wenden sich bitte direkt an Gerd Hofielen

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